Wie die Vase von Tante Lilli kaputt ging und ich Gründungsmitglied des VDD wurde.

Rechtsanwälte antworten auf die Frage wie es ihnen geht, gerne: „Ich kann leider nicht klagen.“ Und ein unter Künstlern beliebter Spruch lautet, wenn in der Zeitung etwas Positives über sie geschrieben steht: „Ich bin heute in sehr gedruckter Stimmung.“ Meine erste Erfahrung als Drehbuchautor war aber, dass Letzteres auf Drehbuchautoren nicht zutraf. Die Stimmung war eher gedrückt. In der Kritik eines Films oder Fernsehfilms stand viel, sehr viel über den Regisseur. Wäre es dabei nur um seine Regiekünste gegangen, so wäre das völlig in Ordnung gewesen. Ehre wem Ehre gebührt. Aber da stand dann noch etwas, was bei mir ein Gefühl der Enttäuschung auslöste, das sich dann ziemlich rasch zu einem kleinen Wutanfall auswuchs, der sich darin entlud, dass ich die Zeitung zusammenknüllte und in eine Ecke feuerte, wobei einmal die schöne Vase von Tante Lilli in Scherben zersprang. Schuld war die unverschämte Behauptung des Kritikers, es sei der Regisseur gewesen, der die Geschichte erzählt habe, dabei hatte der doch kein einziges Wort des Drehbuchs geschrieben. Den Drehbuchautoren etwas gnädiger gestimmte Kritiker erwähnten sie zwar, aber nur ganz kurz, in dem sie eine Klammer aufmachten, den Namen dort reinsetzten und die Klammer wieder schlossen. Das saßen sie nun, rüttelte an den Klammern, kam aber nicht raus. Und weil sie nicht rauskamen, war ihnen auch der Zutritt zu Pressekonferenzen verwehrt, wo sie hätten darlegen können wie die Wahrheit aussah. „Tja, da kannste nix machen, das ist nun mal so, große Scheiße, sieh zu, dass wenigstens das Honorar stimmt“, mit diesen Worten versuchten Kollegen mich zu trösten. Damit wollte ich mich nicht zufrieden geben. Wie könnte man die ignoranten Schreiber zur Rechenschaft ziehen? Immerhin hatten sie unsere Ehre als Drehbuchautoren beleidigt. Vor einhundert Jahren hätte man einen von ihnen zu einem Duell auffordern können, in der Morgendämmerung am nebeligen Waldesrand mit zwei unausgeschlafenen Sekundanten, aber damals gab es noch keine Drehbuchautoren und keine sie beleidigenden Kritiker. Und selbst wenn dieses Ritual jetzt noch Usus gewesen wäre, hätte ich jedenfalls davon Abstand nehmen müssen da mich die Bundeswehr wegen einer einige Jahre zurückliegenden Rippenfellentzündung mit zu beobachtendem Schatten partout nicht für den Wehrdienst haben wollte, so dass ich keine Ahnung hatte wie eine Knarre zu handhaben wäre. Und ein toter deutscher Filmkritiker im Morgengrauen sei sowieso eine Schnapsidee, sagte mir dann ein älterer Kollege, der seinen Frust über die Jahre hinweg in Unmengen Litern von Saint-Émilion Grand Cru ertränkt hatte. Das Honorar hatte bei ihm immer gestimmt. Schnapsidee deshalb, weil die Kritiker in Deutschland nur die Marionetten einflussreicher Filmtheoretiker aus Frankreich waren, so erzählte er mir, und deren Theorie sei mittlerweile unter dem Namen“ Autorentheorie“ von einem Kritikerpapst namens Andrew Sarris in den USA zu Perfektion gebracht worden. Momentmal, das klang doch sehr nach einer Verschwörungstheorie. Und war es glaubhaft, dass der rotweinhaltige Kollege weiterhin unverdrossen dem Saint-Émilion Grand Cru zusprach, wo doch dieser Tropfen aus dem Land kam, das ihm angeblich die Anerkennung als Urheber seiner Werke absprach? Es ist nicht alles schlecht an Frankreich, sagte er mir und zeigte zu seiner Bibliothek wo von Apollinaire bis Zola alles was Rang und Namen hatte vertreten war. Ich aber machte mich auf die Spur von Andrew Sarris und dazu musste ich nicht einmal mit der damals noch existierenden Pan Am in die USA fliegen, es genügte ein kurzer Besuch in der Bücherei Schoeller am Kurfürstendamm wo ich mir Andrew Sarris‘ einflussreiches Buch „The American Cinema“ kaufte. Und tatsächlich, da stand es, zwar auf Papier aber doch apodiktisch in Stein gemeißelt. Regisseure wie Hawks, Ford, Hitchcock und andere hatten ein persönliches Markenzeichen entwickelt, das sich in all ihren Filmen nachweisen ließ und sie deshalb, egal wer das Drehbuch geschrieben hatte, als alleinige Schöpfer und damit als die Autoren der Filme galten. „Ein Film von …“ gefolgt vom Namen des Regisseurs, mit diesem Titel fing nun jeder Film an. Verhängnisvoll war, dass sich diese Theorie nicht nur auf amerikanische Regisseure bezog sondern bald auf alle Regisseure der Welt. Und nicht nur auf großartige Regisseure, deren Inszenierungskunst ja gar nicht anzuzweifeln war, sondern auf jeden Regisseur, egal wie talentiert. Das Ergebnis war „Ein Film von Hinz und Kunz“. Wir, die Drehbuchautoren, die eigentlichen Autoren, bei denen man sich nicht fragte, ob es unter ihnen nicht auch welche gab, die eine persönliche Handschrift entwickelt hatten, unabhängig davon wer Regie führte, wir kamen in dieser Theorie nicht vor. Schlimmer noch, man hatte uns kurzerhand die Berufsbezeichnung entrissen. Wir waren keine Autoren mehr, schrieben aber weiterhin Drehbücher. Schöne Scheiße , Hauptsache die Kohle stimmt? Was tun? Die Vase von Tante Lilli war schon zertrümmert. Unmengen Saint Émilion Grand Cru konnte ich mir damals nicht leisten. Vielleicht sollte man das tun, wovon mir der rotweinhaltige Kollege einmal erzählt hatte. Eine Anekdote aus Hollywood, zu schön um wahr zu sein, aber vielleicht hatte es sich doch so zugetragen. Frank Capra inszenierte in den dreißiger Jahren eine Reihe erfolgreicher Filme, in denen Sozialkritik und Humor eine gelungene Ehe eingingen. Man nannte das den „Capra Touch“. Nur, die besten dieser Filme wie „It happened one night“, Mr.Deeds goes to town“, „Meet John Doe“, stammten aus der Feder des Drehbuchautors Robert Riskin, dem die ständige Preisung des „Capra Touches“ allmählich gehörig auf die Nerven ging. Eines Tages reichte es ihm. Er stürmte in Capras Büro, knallte ihm 120 leere Seiten auf den Tisch und sagte: „Now put your famous Capra Touch on that.“ Ich war schon dabei mir eine Liste von Regisseuren anzufertigen bei denen ich mit noch zu organisierenden Gleichgesinnten und vielen leeren Blätter aufkreuzen wollte, als ich davon hörte, dass sich da so eine Art Untergrundbewegung enttäuschter Drehbuchautoren zu bilden begann, die gegen ihre miese Behandlung vorging, die unter anderem eine Streichung der Drehbuchförderung im Filmförderungsgesetz vorsah. Da müsste sich doch auch etwas gegen die Mandarine der Autorentheorie machen lassen. Und so geschah es. 1986 gründeten wir die Arbeitsgemeinschaft der Drehbuchautoren, aus der dann der VDD hervorging. Heute stehen wir besser da als vor 1986. Was alles erreicht wurde und noch zu erreichen gilt, auch über die Forderung nach angemessener Nennung von Drehbuchautoren hinaus, steht auf unserer Homepage. Wenn Kritiker uns gelegentlich immer noch verschweigen, so sitzt ihnen die von uns gegründete Gruppe der „Fahnder“ im Nacken, die sich die Verschweiger vorknöpfen und sie auffordern ihr schändliches Tun einzustellen. Erfreulicherweise geloben sie dann meistens Besserung. Aber es bleibt immer noch etwas zu tun. Noch immer gibt es Dinge, die einem im Anklang an Robert Riskin gehörig auf die Nerven gehen können. So wird zum Beispiel bei den Titeln der Fernsehfilme der Titel des Autors nach Nennung der Schauspieler irgendwo zwischen Kostüm und Schnitt eingeklemmt. Er gehört jedoch dorthin wo er bis zum Auftreten der Autorentheorie zu sehen war, als vorletzter Titel vor dem des Regisseurs. Aber hoppla, da stehen nun oft die Titel für Producer und Redakteure. Wie singt Cher in einem ihrer schönsten Songs? „A cowboy‘s work is never done“. Die von Drehbuchautoren auch nicht, sonst bleibt nur der Saint Émilion Grand Cru.

Hartmann Schmige

26.05.2017