„EIN FILM VON…“ oder „AUTORENTHEORIE OHNE AUTOREN“
Womit alles anfängt
Am Anfang ist nichts. Gar nichts. Nur ein leeres weißes Blatt oder der leere
Bildschirm eines Laptops auf den der Drehbuchautor starrt, ungeduldig darauf
endlich loszulegen, weil er schon von der Muse geküsst ist, oft aber in quälerischer
Verzweiflung, weil der rettende Einfall sich nicht einstellen will. Das ist der Schrecken
des weißen Blattes. In dieser Zeit ist der Autor ganz allein und nur er selbst kann sich
an den eigenen Haaren aus dem Loch der Leere herausziehen.
Kein anderer der am Entstehungsprozess eines Films Beteiligten wird in eine
ähnliche Situation kommen. Auch sie werden ihre Krisen haben und gelegentlich an
sich selber zweifeln, aber sie alle haben einen großen Vorteil: Es ist bereits etwas da,
mit dem sie sich auseinandersetzen können. Sie mögen es lieben, gering schätzen
oder vielleicht sogar schrecklich finden, aber es existiert. Der Drehbuchautor hat
etwas geschaffen, womit man sich auseinandersetzen kann und muss. Keiner, der
nach dem Autor die Szene betritt, muss bei Null anfangen. Nicht einmal der
Komponist, der leere Notenblätter vor sich hat, fängt bei Null an. Auch er sieht am
Schneidetisch das, woran sich seine Fantasie entzünden kann. Er sieht es durch die
Augen des Regisseurs, in dessen Interpretation, aber die Quelle der Interpretation ist
das Werk des Drehbuchautors.
Das ist es, was jeden Autor immer wieder ein Glücksgefühl bereitet, wenn es ihm
endlich gelingt die weiße, leere Fläche mit Leben zu füllen. Und hierfür gibt es kein
Patentrezept. Viele Wege führen nach Rom. Der eine beginnt mit einer Idee, oder
mit einem Plot, oder mit einem Thema, der andere mit einem interessanten
Charakter, für den er dann die richtige Geschichte sucht. Am Schluss ist alles da. Die
Idee, das Thema, die Geschichte, die Charaktere, die Dialoge und alles
zusammengehalten durch das Skelett des Drehbuches, der Dramaturgie.
Und all das wird man später im Film wiederfinden. Oft mit Veränderungen. Manches
wird gestrichen sein, einiges Neues wird hinzukommen. Und manches wird sich von
den Bildern, die sich beim Schreiben im Kopf des Autors bildeten von dem
unterscheiden, was er später zu sehen bekommt, weil der Regisseur das, was der
Autor geschaffen hat, anders interpretiert als der ursprüngliche Schöpfer es getan
hat. Und das ist auch völlig in Ordnung. Ein Drehbuch wird nicht exekutiert, es wird
interpretiert. Es ist in Ordnung, solange der Regisseur das, was der Autor ihm
geschrieben hat, Ernst nimmt und dessen Arbeit respektiert. Dann werden sich seine
Änderungen in einem Rahmen halten, in dem der Autor sich wiederfindet.
Natürlich bewegen wir uns bei dieser Konstellation im Idealfall. Ein gutes Drehbuch
trifft auf einen guten Regisseur. Es gibt andere, ungünstigere Konstellationen. Ein
gutes Drehbuch trifft auf einen schlechten Regisseur oder ein schlechtes Drehbuch
auf einen guten Regisseur. In beiden Fällen wird nichts Gutes entstehen. Wobei es
immerhin möglich ist aus einem guten Drehbuch einen wenigstens mittelprächtigen
Film zu machen, auch dann, wenn der Regisseur nicht sonderlich talentiert ist. Es
wird aber auch dem besten Regisseur nicht gelingen aus einem schlechten
Drehbuch einen guten Film zu machen.
Wir sehen, dass das Drehbuch, ob gut, ob schlecht, für Gedeih und Verderb des
fertigen Films eine zentrale Rolle spielt. Das hört sich wie ein Gemeinplatz an, dem
niemand widersprechen kann. Wie wir später noch sehen werden, ist das nicht der
Fall. Es gibt eine Filmtheorie, die den Wert des Drehbuches nicht nur gering
einschätzt, sondern in der das Drehbuch und sein Schöpfer, der Autor, überhaupt
nicht vorkommen. Diese Theorie nennt sich interessanterweise „Autorentheorie“.
Doch ich greife vor.
Harte Schläge und ein Orden
Nehmen wir einmal den Fall an, in dem ein guter Autor ein gutes Drehbuch
geschrieben hat, ein guter Regisseur noch vor Drehbeginn mit dem Autor zusammen
gesessen hat, Kritik und Anregungen beisteuerte, dass auch der Produzent oder der
Fernsehredakteur sich daran beteiligten, dass der Autor dies alles berücksichtigte,
ohne dass deshalb seine Rolle als Schöpfer des Buches infrage gestellt war, dass
dann der Film vom Regisseur so inszeniert wurde, dass seine persönliche
Handschrift gut erkennbar wurde , dass hierbei die Kreativität der Schauspieler, des
Filmteams und des Komponisten noch das ihrige beitrug, so dass ein guter Film
entstand, könnten dann nicht alle zufrieden sein? Einer ist es bestimmt: Der
Regisseur. Denn er bekommt nun einen Orden verliehen und auf dem steht „Ein Film
von…“. Im Kinofilm geschieht das fast immer, im Fernsehen nicht so häufig, aber
auch hier begegnet uns dieser Titel häufiger als es den Autoren lieb sein kann. „ Ein
Film von…“
Das ist ein harter Schlag für alle . Einen aber trifft es besonders hart: den Autor. Er
hat bei Null angefangen. Er hat die Leere mit Charakteren beseelt, hat ihn eine
Geschichte gegeben, hat ihnen Worte in den Mund gelegt, hat sie lieben, lachen und
weinen lassen, und das alles findet er auf der Leinwand oder auf dem Bildschirm
wieder, natürlich gesehen durch die Augen des Regisseurs, mit Änderungen, die das
Ganze verbessert, manchmal auch verschlechtert haben, aber Hergottnochmal, das
ist doch von ihm, was er da sieht. Es ist doch auch ein Film von ihm.
Er verwünscht diesen Titel, dass er sich in Luft auflösen möge, aber es hilft nichts.
Wie in Stein gemeißelt steht es da: „Ein Film von…“ und dann folgt der Name des
Regisseurs. Und selbst, wenn dieser Titel nicht erscheint, leuchtet er doch sofort in
den Köpfen einer Gruppe von Menschen auf, die es nicht gut mit dem Autor meinen.
Es sind dies die Filmtheoretiker, Filmkritiker, Festivalmacher und Filmmuseumsleiter.
Für sie alle zählt ab jetzt nur noch einer: Der Regisseur. Die anderen werden
entweder nicht mehr erwähnt oder zu Randfiguren degradiert. Die Beispiele hierfür
sind unzählig. Begnügen wir uns mit einigen wenigen.
Für Greenhorns ein roter Teppich
Es ist immer eine Ehre wenn ein Film zu einem Festival eingeladen wird. Bevor die
Filme gezeigt werden, informiert man das Publikum über das, was sie erwartet, auf
Plakaten und in Katalogen. Der Katalog der Internationalen Filmfestspiele zu Berlin
zum Beispiel ist sehr dick, die Informationen über die Drehbuchautoren darin
allerdings sind sehr dünn. Die Autoren tauchen nur klein gedruckt in der Stabliste
auf. Ganz selten wird in der Inhaltsangabe mal in einem Nebensatz auf sie
verwiesen.
Wäre nicht mehr Platz da, wo doch so ein Katalog gut 350 Seiten dick ist? Ja, es
wäre, wenn man den Regisseuren etwas Platz nimmt und ihn den Autoren gibt, ohne
die die gezeigten Filme gar nicht existieren würden. Nun ist es aber so, dass jedem
Regisseur mindestens eine ganze Seite in Din-A- 4 Größe gewährt wird, mit
Biografie, Filmographie und Foto. Manchmal sind es sogar zwei Seiten. Hinzu kommt
dann die Inhaltsangabe, die direkt auf den Autor Bezug nimmt, ohne ihn beim Namen
zu nennen. Wenn Regisseur und Autor in Personalunion tätig waren, so wäre das
nachvollziehbar. Oft ist das aber nicht der Fall.
Man verfährt so nicht nur bei langen Spielfilmen, sondern auch bei Kurzfilmen. Auch
die Regisseure von kleinen, kurzen Erstlingswerken bekommen, obwohl sie bislang
völlig unbekannt waren, gleich den roten Teppich ausgerollt, während Autoren, die
schon über Jahre hinweg beachtliches geleistet haben, weiterhin in die Stabliste
gedrängt werden, wo man sie mit der Lupe suchen muss. So geschehen in den
letzten beiden Jahren bei Drehbuchautoren wie David Hare beim dem Film „The
Hours“, Peter Shaffer beim Director’s Cut des Films „Amadeus“ und Ronald Harwood
bei dem Film „ Taking Sides – Der Fall Furtwängler.“ Selbst der verstorbene Autor
und Regisseur Krzysztof Kieslowski wurde in die klein gedruckte Stabliste verbannt,
obwohl sein Drehbuch, dass er zusammen Krzysztof Piesiewicz geschrieben hatte,
nicht mehr selber verfilmen konnte, die Grundlage für den Film „Heaven“ bildete.
Man fragt sich, was da in den Köpfen der Katalogmacher vorging? Ein Greenhorn,
das gerade seinen ersten, kurzen Gehversuch macht, Seite an Seite in derselben
unübersehbaren Aufmachung mit Alan Parker, Milos Forman und Istvan Szabo,
während gestandene Drehbuchautoren „unter ferner liefen“ abgelegt werden. Ist es
übertrieben, wenn man das schlichtweg absurd nennt? Ich glaube nicht. Dieser
Unfug muss ein Ende haben. Die Forderung an die Festivalleiter lautet daher: Macht
Schluss mit der Diskriminierung der Drehbuchautoren. Räumt ihnen bei der
Präsentation der Filme den Platz ein, der ihnen gebührt.
Dieses Jahr wurde in Berlin ein kleiner Schritt in diese Richtung getan als man auf
Drängen des Verbandes Deutscher Drehbuchautoren (VDD) wenigsten auf den
Plakaten, die über das Programm des Festivals informierten, die Autoren erwähnte.
Die Freude war beträchtlich. Das also ist die Ausgangslage. Eine
Selbstverständlichkeit wird wie ein kleiner Sieg gefeiert wird.
Kritiker – Ein realistischer Albtraum.
Was geschieht nun wenn der Film gelaufen ist und die Kritiker sich hinsetzen und
ihre Bewertungen schreiben? Neunzig Prozent aller Kritiken bestehen vor allem aus
Inhaltsangaben mit anschließender Bewertung des Inhalts und einigen Bemerkungen
zu den Darstellern. Die Pointe ist, dass aber nicht der Drehbuchautor, über den sie
sich ausgebreitet haben, dann beim Namen genannt wird, sondern der Regisseur,
über dessen Arbeit wiederum, und das ist vor allem seine Art der Inszenierung, sie
fast gar nichts zu sagen haben. Neunzig Prozent aller Kritiken sind einfach schlecht
geschrieben.
Bleiben die zehn Prozent, die lesenswert sind, lesenswert aus der Sicht der
Regisseure. In diesen Kritiken findet nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine
ästhetische Erörterung des Films statt. Aber auch hier fällt der Drehbuchautor zu oft
durch den Rost. Selbst wenn der Regisseur nicht gleichzeitig sein eigener Autor war,
wenn also ein anderer Idee, Thema, Geschichte, Figuren und Dialoge beigesteuert
hat, lesen sich diese Kritiken so als würde das alles allein vom Regisseur stammen.
Nicht selten findet man die Formulierung: „Er“ (gemeint ist der Regisseur) erzählt
„höchst spannend“, oder „höchst komisch“, oder „sehr bewegend“, was auch immer
„er“ erzählt, es ist der Regisseur. Dem eigentlichen Erzähler verpasst der Kritiker
einen Knebel.
Auch hier möchte ich ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit beisteuern und
verlasse dabei die Welt des Films und wende mich dem Fernsehen zu, für das die
überwiegende Mehrheit der Drehbuchautoren in Deutschland arbeitet. Die
langjährige Krimiserie „Die Männer vom K3“ erfuhr dieses Jahr eine
Rundumerneuerung. Sie war etwas zu betulich geraten. Man wechselte die drei
Kommissare und deren Darsteller durch ein neues Team mit neuen Darstellern aus.
Alles sollte zudem dynamischer und spannender werden.
Beauftragt das umzusetzen, wurden der Autor Norbert Ehry und der Regisseur
Friedemann Fromm. Beide sind seit vielen Jahren erfolgreich im Fernsehen tätig.
Beide sind Grimme Preisträger. Am Sonntag, den 24. August 2003, wurde das
Ergebnis im Ersten Programm gesendet. Der Titel der ersten Folge hieß „Auf
dünnem Eis.“
Ich habe drei Zeitungen, die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine
Zeitung, den Berliner Tagesspiegel und das Nachrichtenmagazin Der Spiegel
herausgegriffen. In der Süddeutschen Zeitung erschien keine Kritik. In den anderen
drei Publikationen wird der Neustart der Serie in höchsten Tönen gelobt. Ein schöner
Erfolg für Norbert Ehry und Friedemann Fromm. Ich werde nun aus den Kritiken
einige Passagen zitieren. Achten Sie bitte dabei darauf, wie oft der Name des
Drehbuchautors Norbert Ehry erwähnt wird.
Aus dem „Tagesspiegel“ vom 24. August: „Der Start ist furios. „Auf dünnem Eis“, der
Mord an einem zwielichtigen Kaufmann (beruhend auf einer wahren Begebenheit),
die ruppige Vorstellung des neuen Ermittlerquartetts, eine bunt zusammen gewürfelte
Mannschaft mit schillerndem Profil, fast genauso müde und undurchsichtig wie die
ineinander verstrickten Verdächtigen, darunter die wunderbare Maria Simon als
Tochter des Opfers und André Hennicke als eiskalter Engel, der Geldeintreiber
Laudin. Insgesamt eine düstere Familiengeschichte an ziemlich düsteren Elborten,
vom „Grimme“-Preis-gekrönten Regisseur Friedemann Fromm so verstörend und
selbstverständlich zugleich eingefangen, als hätte es nie etwas anderes am
Sonntagabend gegeben. Wann laufen „Tatort“-Polizisten schon minutenlang vor
torkelnden Handkameras herum? (…) Dazu Dialoge, die nicht so klingen wie aus
einem Script-Kurs für Krimi-Autoren, mit den 50 Standardsätzen. In seinen besten
Momenten hat „K3“ etwas von einem ziemlich realistischen (Alb)Traum.“
Aus der „FAZ“ vom 23. August: „Um seinen hintersinnigen Kommissar Sander herum
gruppiert die Dramaturgie Oliver K. Wnuk als Kommissar Muriat Alpay, sowie das
zweite Zweierpärchen mit dem München nachtrauernden Kommissar Reisinger
(Jürgen Tonkel) und dem rauflustigen Kollegen Noll (Oliver Bäßler).“
Das ist wirklich erstaunlich wie das zu Wege kam. Nicht ein Autor, eine lebendige
Person, die einen Namen und Adresse und wahrscheinlich auch eine
Telefonnummer hat, wo man sich also erkundigen könnte, wie die genannten Figuren
entstanden sind, nein „die Dramaturgie“ hat das zu Wege gebracht, die wie ein
gütiger, unsichtbarer Engel die Dinge lenkte. Ich zitiere weiter: „Lebendig macht
diese Figuren der „Tatort“- erfahrene Regisseur Friedemann Fromm (…), dessen
Handschrift unschwer zu erkennen ist: Es gibt lange Kamerafahrten, in denen der
zwar schon oft bebilderte Hamburger eindrucksvoll als fünfter Mitspieler erscheint.“
Und noch ein weiteres Zitat: „Sehenswert und stoisch kontrolliert spielt dabei Andre
Hennicke den Geldeintreiber Laudien, der sein Herz an jene Frau verloren hat, die
sich als Dreh- und Angelpunkt der Geschichte entpuppt. Ihre Dialoge mit Kommissar
Sander zählen derweil zum Anregendsten, was das deutsche Krimifernsehen seit
langem zu bieten hat.“
Was können es nur für unüberwindliche Schwierigkeiten gewesen sein, die die
Kritiker von Tagesspiegel und FAZ davon abgehalten haben, denjenigen zu nennen,
der für das, was sie so lobend hervorheben, verantwortlich ist? Es bleibt ihr
Geheimnis.
Und nun zuletzt eine Passage, wie sie im Spiegel Nr. 34 diesen Jahres stand. „ Um
20 Uhr 15 werden die ARD-Zuschauer an diesem Sonntag einem der Höhepunkte
des Fernsehjahres beigewohnt haben. (…) Die Story knistert vor Sex und Lügen, und
eine starke Brise treibt die Handlung unerbittlich voran. Rasante Bilder etwa von den
Lichtern im Alten Elbtunnel bedrängen das Gemüt. Die Dialoge funkeln.“
Jetzt endlich wird Norbert Ehry, der Urheber dieser knisternden Story und der
funkelnden Dialoge, die dem Kritiker so gut gefallen haben, genannt werden, denkt
man. Aber wie lautet der gleich darauf folgende Satz? „Friedeman Fromm, 40, hat
dieses K3-Wunder zu Stande gebracht.“
Ich schlage vor, dass die Kommissare in der nächsten Folge sich auf die Spur der
drei Kritiker machen und sie wegen symbolischen Totschlags eines Autors zur
Rechenschaft ziehen. Ihre Namen habe ich nicht genannt. Es wäre ungerecht, weil
es zufälligerweise gerade diese drei trifft. Sie sind aber keine Einzelfälle.
Gerechtigkeitshalber muss ich erwähnen, dass in allen der genannten
Publikationsorgane auch Kritiken erscheinen, in denen der Autor erwähnt wird. Aber
es ist wildwuchsartig, ohne dass eine einheitliche Linie erkennbar wäre. Generell
kann man sagen, dass der Autor immer schlechter wegkommt als der Regisseur.
Willkommen in Absurdistan
Wenn Sie nun glauben, wir haben mit den erwähnten Beispielen bereits den Gipfel
dessen erreicht, was den Autoren zugemutet wird, dann kennen Sie wahrscheinlich
nicht den folgenden Fall. Einer der großen deutschen Kinoerfolge, sowohl bei der
Kritik als auch an der Kasse, war dieses Jahr der Film „Good Bye, Lenin!“ Die
außergewöhnliche Erfolgsgeschichte ist untrennbar mit dem Drehbuchautor Bernd
Lichtenberg verknüpft.
Er hatte er die Idee zu dem Film und schickte das Exposé dem Regisseur Wolfgang
Becker. Nach intensiven Gesprächen schrieb Lichtenberg dann nach zweimonatiger
Recherchephase zwei Treatments und dann die erste Drehbuchfassung. Es folgten
insgesamt sechs Fassungen, von denen die ersten Lichtenberg alleine schrieb,
später ist dann der Regisseur Becker mit eingestiegen, „… vor allem als es für ihn
immer detaillierter in die Szenen hineinging und er anfing, seine konkrete
Realisierung zu visionieren.“
Als der Film herauskam wurde Lichtenberg als Drehbuchautor und Becker als Co-
Autor genannt. Und natürlich war es „Ein Film von Wolfgang Becker“.
Kann es irgendeinen Zweifel daran geben, dass Lichtenberg einen ganz
entscheidenden Anteil am Erfolg des Filmes hatte? Wäre man ihm nicht etwas Dank
schuldig? Aber dann passierte folgendes: In der Nummer 24 des Branchenblattes
Filmecho-Filmwoche erscheint eine ganzseitige Anzeige, eine Danksagung von „X-
Filme“, die „Good Bye Lenin“ produziert hatte, an alle die zum Erfolg beigetragen
hatten.
Der Text der Anzeige beginnt so: „ Good Bye Lenin ! X-Filme sagt Danke! Für den
Erfolg von Good Bye, Lenin ! waren natürlich die Schauspieler, das Team, der
Produzent, der Regisseur maßgeblich verantwortlich. An dieser Stelle wollen wir uns
bei all den anderen bedanken, ohne die der Film auch nicht gedreht worden wäre
bzw. bei denen, die mit dafür gesorgt haben, dass dieser Erfolg im Kino möglich
war.“
Wo bleibt der Drehbuchautor Lichtenberg? Zum Team, das den Film drehte, gehörte
er nicht. Er hätte oben erscheinen müssen, bei denen, die maßgeblich für den Erfolg
verantwortlich waren. Dort aber sucht man ihn vergebens. Es folgen dann sage und
schreibe 148 Namen von Menschen, die in den verschiedenen Gremien mit der
Finanzierung des Filmes befasst waren. Ihnen dankt man. Sogar die Texter der
Werbematerialien werden noch erwähnt, nur der Drehbuchautor Lichtenberg wird
verschwiegen. Wo sind wir hier? In der deutschen Filmbranche oder in Absurdistan?
Wahrscheinlich in beidem zugleich.
Kein Platz für Carl Mayer
Woran liegt es, dass die Drehbuchautoren immer wieder übersehen werden? Haben
die Kritiker in der Eile des Tagesgeschäftes nicht die Zeit eine differenzierte
Betrachtungsweise der am Entstehungsprozess eines Filmes Beteiligten
vorzunehmen? Dann müssten jedenfalls in der rückwärtigen Schau auf bedeutende
Werke der Filmgeschichte die Drehbuchautoren angemessen gewürdigt werden.
Denn, wenn man zum Beispiel ein Filmmuseum plant und einrichtet, dann hat man
dafür Jahre Zeit und dann sollte es doch möglich sein auch den Drehbuchautoren
dort einen Platz einzuräumen.
Wie viele sollte man erwähnen? Wen aussuchen? Wen weglassen? Keine leichte
Entscheidung. Aber für zwei, drei müsste es reichen. Oder ist das schon zu viel?
Dann wenigsten einen Autor, einen einzigen, einen bedeutenden, der aus der
Geschichte des Films nicht wegzudenken ist, Carl Mayer zum Beispiel. Für ihn
müsste in so einem großen Museum wie dem Filmmuseum in Berlin am Potsdamer
Platz doch irgendwo eine Ecke übrig sein, wo der Besucher etwas über ihn erfahren
könnte. Verdient hätte er es.
Carl Mayer ist eine der zentralen Gestalten des deutschen Stummfilms. Die nach
seinen Drehbüchern entstandenen Filme sind Meilensteine nicht nur des deutschen
Films sondern des Films überhaupt. Hier eine Auswahl. „Das Cabinet des Dr.
Caligari.“ (Coautor : Hans Janowitz). ” Scherben “. ” Hintertreppe ” . “Sylvester”. „
Der
Letzte Mann“. „Tartüff“.
Mayer war es gelungen eine bildpoetische Sprache zu entwickeln, die seinen
Regisseuren als fruchtbare Inspiration für ihre Inszenierungen diente. Das
bedeutendste Werk ist vielleicht „Der letzte Mann“ aus dem Jahre 1924, bei dem der
geniale Autor mit einem ebenso genialen Regisseur zusammen arbeitete, mit
Friedrich Wilhelm Murnau.
Was erfahren wir nun im Berliner Filmmuseum über Carl Mayer? So gut wie nichts.
Der ganze erste Teil des Museums ist dem deutschen Stummfilm gewidmet. Und wer
sich für Regisseure und Schauspieler interessiert, wird auf seine Kosten kommen.
Das ist alles wunderbar gemacht. Fotos, Filmausschnitte , Requisiten, Filmplakate,
und erläuternde Texte würden einen guten Eindruck über diese Epoche geben, wenn
da nicht die Drehbuchautoren fehlen würden, wenn wenigstens Carl Mayer präsent
wäre.
Man muss schon genau hinsehen um seinen Namen auf einem der ausgestellten
Filmplakate zu entdecken. Auch in dem Begleittext, in dem man über Kopfhörer
Informationen bekommt, bleibt Carl Mayer unerwähnt.
Dabei wäre es ganz einfach. Man braucht nur ein klein wenig Fantasie. Eine Seite
aus einem seiner Drehbücher, vergrößert als Schaubild, würde schon einen Eindruck
seiner Arbeitweise vermitteln. Und diese Drehbuchseite könnte man mit einem
Filmausschnitt
kombinieren, um zu sehen was der Regisseur daraus gemacht hat. Wie gesagt, man
braucht nur ein klein wenig Fantasie.
Um den Museumsmachern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muss aber erwähnt
werden, dass man doch eine Autorin der Vergessenheit entrissen hat. Es handelt
sich um die Operettensängerin Luise del Zopp, die sich im Jahre 1911 an einem
Drehbuchwettbewerb beteiligte und den ersten Preis bekam. Ab 1912 arbeitete sie
für Oskar Meßter als Dramaturgin. Mehr ist nicht bekannt. Die Museumsmacher
fanden das aber so weltbewegend, dass sie der schreibenden Operettensängerin
eine hübsche Vitrine einrichteten, wo man das alles genauestens erfährt. Carl Mayer
hat Pech gehabt. Vielleicht weil er nicht singen konnte.
(Wer mehr über Carl Mayer erfahren möchte, dem empfehle ich das Buch von Dr.
Jürgen Kasten, dem Geschäftsführer des VDD. „Carl Mayer: Filmpoet“)
Haben wir es bei der überwiegenden Mehrheit der Festivalleiter, Kritiker und
Filmhistoriker mit gleichgeschalteten Gehirnen zu tun, mit einer seltsamen
Verschwörung zu Lasten der Drehbuchautoren? Hat irgendein Dr. Caligari im
Hintergrund die Fäden in der Hand und sind die eben Genannten seine willfährigen
Werkzeuge? Nein, das ist es nicht. Es ist eher so etwas wie eine freiwillige
Selbstverpflichtung im Namen einer Filmtheorie, die einerseits ein Loblied auf
Autoren singt, andererseits gleichzeitig den Drehbuchautoren einen Strick dreht.
Autorentheorie ohne Autoren
Früher war alles besser. Eine Behauptung, die im allgemeinen Vergangenheit nur
verklärt. Was die Drehbuchautoren anbelangt, so war ihre Situation in den Anfängen
des Kinos aber tatsächlich besser, zumindest was ihre Wertschätzung anbelangt, die
sich in den Filmtiteln niederschlug. In ihnen wurde ersichtlich, dass der Film
untrennbar mit demjenigen verbunden ist, der das Drehbuch dafür geschrieben hat.
So steht in den Anfangstiteln des Stummfilmklassikers „Das Cabinet des Dr.
Caligari“, dass es sich hierbei um „Ein Filmschauspiel in 6 Akten von Carl Mayer und
Hans Janowitz“ handelte. Es galt nicht als ein Film von Robert Wiene, der Regie
geführt hatte. Auch für weitere Filme, für die Carl Mayer tätig war, so bei „Genuine“
(Regie: Robert Wiene),
oder „Grausige Nächte“ (Regie: Lupu Pick) wurde in Inseraten und Programmen für
Filme von Carl Mayer geworben. Sogar einer der ersten monumentalen
Ausstattungsfilme, „Anna Boleyn“, bei dem kein Geringerer als Ernst Lubitsch Regie
führte, wurde als ein „Drama in 6 Akten von Fred Orbing und Hanns Kräly“
angekündigt.
Nach und nach gelang es aber einigen Regisseuren, einer der ersten war Fritz Lang,
den Titel „Ein Film von …“ durchzusetzen, auch dann wenn sie das Drehbuch nicht
selber geschrieben hatten. Doch blieb dies lange Zeit die Ausnahme und nur
Ausnahmeregisseuren vorbehalten. Den entscheidenden Durchbruch erlebte der
Titel „Ein Film von…“ erst durch die Etablierung der Autorentheorie in den fünfziger
und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Damals entdeckten Filmkritiker wie Francois Truffaut, Jean Luc Godard, Jacques
Rivette, Eric Rohmer und andere, die bald darauf erfolgreich ihre eigenen Filme
drehten sollten, das amerikanische Kino. Während bislang Hollywoodfilme, von
Ausnahmen abgesehen, als minderwertig betrachtet wurden, pries man nun
Regisseure wie Howard Hawks, John Ford und Alfred Hitchcock, denen es gelungen
war, trotz der in den Studios perfekt betriebenen Arbeitsteilung, in der der Regisseur
oft nur ein Schräubchen im Getriebe war, ein persönliches Markenzeichen zu
entwickeln, das sich in all ihren Filmen nachweisen ließ. Voraussetzung war ein
durchgängiger Inszenierungsstil und das Wiederauftauchen bestimmter Themen.
Wenn dies der Fall war, so galten ihre Filme nun als „ Ein Film von…“ auch dann,
wenn sie das Drehbuch nicht selber geschrieben hatten.
Und was ist mit den Drehbuchautoren? Leider hatten die Erfinder der Theorie
vergessen denjenigen, die sich bis dahin Autoren nannten, nach der vollzogenen
Enteignung eine neue Berufsbezeichnung zu geben. Autoren waren sie jetzt nicht
mehr, aber was dann?
Keineswegs kann es hier nun darum gehen, großen Regisseuren eine persönliche
Handschrift abzusprechen, wie es auch außer Frage steht, dass die Begründer der
Autorentheorie als Regisseure der „Neuen Welle“ Filme drehten, die Geschichte
machten.
Vorzuwerfen ist den Theoretikern allerdings die totale Einseitigkeit ihrer
Betrachtungsweise. Ihre Vorgehensweise erinnert an bestimmte mathematische
Aufgaben. Dort steht, wenn die Aufgabe gelöst ist, „Quod erat demonstrandum“.
(Was zu beweisen war.) Genauso verfahren die Vertreter der Autorentheorie. Sie
finden nur das, was sie suchen und sie suchen nur das, was sie finden wollen. Alles
andere übersehen sie und dabei nicht nur die Drehbuchautoren, sondern auch den
nicht unerheblichen Einfluss von Schauspielern, Kameramännern, Cuttern,
Produzenten und Architekten und Komponisten. Wäre es nicht interessant auch
ihnen nachzuspüren um herauszufinden, ob sich nicht auch bei ihnen so etwas wie
eine persönliche Handschrift festmachen lässt?
Jean Gruault, einer der Drehbuchautoren der Neuen Welle, hat in einem Interview
einmal gesagt.“ Uns alle verband ja die Freundschaft, eine Kameradschaft von
Leuten,
die im gleichen Metier arbeiteten. Ich fand eigentlich immer, dass die Autorentheorie
eine journalistische Fiktion ist, eine Konstruktion, eine Vereinfachung für den
Publikumsgebrauch. Eine Mystifikation! Kein Film wird nur von einer einzigen Person
geschaffen. Selbst im Fall von Truffaut, der ja sein eigener Produzent war, stimmt
das nicht.“ ( Filmbulletin Nr.3/1987)
Gleichwohl hat sich die Autorentheorie seitdem in den Köpfen der Kritiker, Historiker,
Festivalleiter und Museumsleiter festgesetzt, zum Schaden vor allem der
Drehbuchautoren, deren Bedeutung sträflich vernachlässigt oder gänzlich negiert
wird, und das obwohl mittlerweile für die Förderung der Drehbuchautoren eine
Menge getan wird. Es gibt Studiengänge, Workshops, Förderungsgelder. Jeder in
der Branche weiß, dass es ohne gute Drehbücher keine guten Filme geben wird.
Woran sich aber nichts geändert hat, ist die Einstellung, dass man den
Drehbuchautor, sobald er seine Arbeit getan hat, so schnell wie möglich in der
Versenkung verschwinden lässt. Er passt einfach nicht in die Autorentheorie.
Ein Ansporn Drehbücher für das Kino zu schreiben, ist das nun wirklich nicht. Die
Honorierung im Kinobereich ist gemessen an dem benötigten Zeitaufwand, der oft
zwei bis drei Jahre beansprucht, zudem noch viel zu gering. Thomas Bauermeister,
geschäftsführendes Vorstandsmitglied im VDD, hat dazu in einem Interview mit dem
Informationsdienst „Blackbox“ gesagt: “Auf Deutsch, man muss als Autor entweder
ein Trottel oder ein Abenteurer oder wohlhabend sein, um fürs Kino zu arbeiten.“
(Black Box. Nr.155, August 2003). Ich möchte hinzufügen, um nach getaner,
schlecht bezahlter Arbeit auch noch den Tiefschlag in Form des Titels “Ein Film
von…“ zu ertragen und dann trotzdem weiter zu machen, dafür muss man auch ein
bisschen Masochist sein.
Das Bohren dicker Bretter
Was können wir Drehbuchautoren dagegen tun? Sollen wir dem Beispiel von Robert
Riskin folgen? Wer kennt noch Robert Riskin? Der Name Frank Capra dürfte
vielleicht geläufiger sein. Capra inszenierte in den dreißiger Jahren in Hollywood eine
Reihe erfolgreicher Filme, in denen Sozialkritik und Humor eine gelungene Ehe
eingingen. Man nannte das den „Capra Touch“. Nur, die besten dieser Filme ( wie„It
happened one night“, Mr.Deeds goes to town“, „Meet John Doe“) stammten aus der
Feder von eben diesem Robert Riskin, dem die ständige Preisung des „Capra
Touches“ allmählich gehörig auf die Nerven ging. Eines Tages reichte es ihm . Er
stürmte in Capras Büro, knallte ihm 120 leere Seiten auf den Tisch und sagte: „Now
put your famous Capra Touch on that.“
Vielleicht wäre das eine erhellende Erfahrung für manchen Regisseur, der sich gerne
mit dem Titel „Ein Film von…“ schmückt. Dennoch wird man mit individuellen
Aktionen nicht viel erreichen. Das kann nur über eine organisierte
Interessensvertretung geschehen. Hier einige der Forderungen des Verbandes
Deutscher Drehbuchautoren, die auch vom Verlag der Autoren (Frankfurt) unterstützt
werden und deren Umsetzung die Rolle des Drehbuchautors beträchtlich stärken
würde:
„Es muss selbstverständlich sein, dass der Name des Autors überall dort
gleichberechtigt aufgeführt wird, wo auch der Name des Regisseurs erscheint. Dazu
gehören Anfangs- und Schlusstitel, Kinotrailer, Plakat, Werbebroschüren,
Videocassette, Internetseiten etc.“
„Es muss vertraglich vereinbart sein, dass vor dem ersten Drehtag des geförderten
Films mindestens ein Arbeits- und Abstimmungstreffen zwischen Autor und
Regisseur stattfindet.“
Hinzufügen möchte ich, dass auch bei der ersten Lesung des Buches mit den
Schauspielern der Drehbuchautor anwesend sein muss. Er muss Gelegenheit haben,
wenigstens einmal bei der Diskussion des Buches seine Sicht der Dinge darzulegen.
„Der Name des Autors wird auf den Dispos genannt. Ebenso steht sein Name wie
der des Kameramannes und des Regisseurs auf den Klappen.“
„Der Autor wird in Absprache mit der Produktion zu einem eintägigen Besuch am
Drehort eingeladen“
„Der Autor erhält eine Einladung zur Premiere des Films.“
Und: „ Die Bezeichnung „Ein Film von…“ darf in den Titeln nicht mehr vorkommen,
wenn einzig und allein der Name des Regisseurs erscheint, dieser den Film aber
nicht allein geschrieben hat.“
Das Bohren dicker Bretter braucht Zeit. Und die Gegenseite trennt sich nur ungern
von lieb gewonnenen Vorurteilen. Zur Gegenseite gehört übrigens auch die Mehrheit
der Urheberrechtler, die dem Drehbuchautor das Recht bestreitet, Miturheber des
Filmes zu sein, da das Drehbuch ein vorbestehendes Werk sei, dass zur Verfilmung
freigegeben wird und hierbei spiele der Regisseur die entscheidende Rolle. Dem
steht die Meinung anderer Urheberrechtler entgegen, die den Doppelcharakter des
Drehbuches hervorheben. Es ist einerseits vorbestehendes Werk, andererseits
integraler Bestandteil des gedrehten Filmes.
Ein letztes Wort zu den Regisseuren. Sie stehen im Grunde nicht auf der
Gegenseite. Autor und Regisseur sind die vorrangig kreativen Kräfte im
Entstehungsprozess eines Filmes. Wenn sie eine gemeinsame Vision haben, dann
müssen sie die gemeinsam gegen alle auftretenden Widerstände verteidigen. Sie
sind gleichberechtigte Partner. Der eine schreibt die Geschichte, der andere
inszeniert sie. Und deshalb sollten sie auch gleichberechtigt behandelt werden. Es
würde nicht nur den Autoren nützen. Es würde dem Film überhaupt und seiner
Zukunft dienlich sein.
HARTMANN SCHMIGE, Berlin, 2003